Das Bundesland Nordrhein-Westfalen ist nicht nur für die höchste Bevölkerungszahl in Deutschland bekannt, sondern auch für seine besonders hohe Kneipen- und Gastro-Dichte. Wo viele Menschen leben, wollen natürlich auch viele Menschen ihr leibliches Wohl umsorgt sehen. Doch genau das könnte bald vorbei sein, denn das Kneipen- und Gastrosterben in NRW schreitet immer schneller voran. Woran liegt das und was kann dagegen getan werden? Wir wagen einen besorgten Blick hinter die Kulissen.
Wie sieht die aktuelle Entwicklung aus?
Bereits vor der – insbesondere für die Gastro-Branche – verheerenden Corona-Pandemie lagen viele Kneipen und Gaststätten in Nordrhein-Westfalen im Sterben. Mit den Lockdowns und den weiteren Corona-Maßnahmen hat sich das Ganze dramatisch verschlimmert.
Statistiken zeigen, dass seit 2019 ungefähr jede vierte Kneipe oder Gaststätte in NRW schließen musste. Darüber hinaus leiden auch heute noch viele Wirte unter den Nachwirkungen der Corona-Pandemie und stehen kurz vor der Pleite. Die explodierenden Kosten für Waren und Energie tun ihr Übriges dazu, die Situation zu verschlimmern. Eine Besserung ist bis dato nicht in Sicht.
Die Auswirkungen sind also verheerend: Immer mehr Kneipen schließen, die Gastwirte bleiben häufig auf hohen Schulden bzw. einem entsprechenden finanziellen Schaden sitzen – auch wenn Einrichtungsgegenstände wie die Bestuhlung, Küchenmaschinen oder die Gastro Eiswürfelmaschine zumeist noch durch den Inhaber oder Insolvenzverwalter verwertet werden.
Warum ist die klassische Kneipe so wichtig für unsere Gesellschaft?
In der klassischen Eckkneipe kommen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zusammen: Studenten, Handwerker, Leute aus der Mittelschicht. Man steht oder sitzt beieinander, plaudert bei einem kalten Bier, einem Schnaps oder einem Glas Wein und sagt, was man denkt. Probleme werden in einem öffentlichen Raum diskutiert. In Zeiten zunehmender Aggressionen in den sozialen Netzwerken wirkt die Kneipe fast wie ein sicherer Ort.
Natürlich spielt der Alkohol eine zentrale Rolle in der Kneipenkultur Nordrhein-Westfalens. Es geht dabei nicht darum, sich volllaufen zu lassen. Der gemeinsame Genuss gibt den Menschen das Gefühl, sich von den alltäglichen Routinen, Verpflichtungen und der Disziplin des Alltags zu lösen.
Im Gegensatz zu anderen sozialen Begegnungen kann ein Kneipenbesuch nicht durch einen Videochat simuliert werden. Stattdessen ist man in einer Kneipe physisch anwesend, also als Person präsent. Für Menschen, die in die Kneipe gehen, um Karten oder eine Runde Billard zu spielen, ist dies eine erhebliche soziale Komponente. Die Kneipe ist also viel mehr als nur ein Ort zum Trinken. Es ist ein wichtiges Ritual, dort einzukehren, man fühlt sich mit dem Ort und den Menschen vertraut.
Was kann gegen das Kneipensterben getan werden?
Die Wirte selbst können gegen die sich seit Jahren verschlimmernde Entwicklung praktisch nichts tun. Die steigenden Energiekosten und die Inflation machen sich bei den Gastronomen immer stärker bemerkbar. Schon vor einiger Zeit hatte die „Kölner Interessengemeinschaft Gastronomie“ daher einen Brandbrief mit dem Titel „Hilfe, wir sterben aus!“ an die Bundesregierung geschrieben. Reaktion darauf bis heute: keine!
Laut eigener Aussage haben die Wirte kaum mehr Möglichkeiten, Gewinne zu machen. Bisher hätten die Kunden die Preiserhöhungen zähneknirschend akzeptiert, doch irgendwann sei der Preis erreicht, den man für sein Bier zu zahlen bereit ist.
Ein möglicher Ausweg kann nur von Seiten der Politik kommen. Daher fordert die IG Kölner Gastro entsprechende Wirtschaftshilfen sowie eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Speisen und Getränke in der Gastronomie. Zwischenzeitlich war diese im Rahmen der Corona-Pandemie bereits einmal gesenkt worden, wurde dann jedoch schnell wieder auf das vorige Niveau korrigiert – obgleich der Bundeskanzler zunächst zugesagt hatte, sie auf dem niedrigeren Stand zu belassen. Ein weiterer, oft zitierter Kritikpunkt betrifft die überbordende Bürokratie in Deutschland. Viele Gastwirte fühlen sich hoffnungslos überfordert mit den geltenden Regularien, sowohl was Steuern und Abgaben betrifft als auch hinsichtlich Datenschutz, Jugendschutzverordnung usw.
Bleibt zu hoffen, dass sich die neue Regierung nach den vorgezogenen Bundestagswahlen im Frühjahr 2025 diesem Problem endlich annehmen wird.